Sustainable living

Wie neue Wohnkonzepte soziale Nachhaltigkeit fördern können

Die soziale Nachhaltigkeit ist der Aspekt der Nachhaltigkeit, der wahrscheinlich am wenigstens berücksichtigt wird. Im Vordergrund stehen stets die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit. Doch da im Zentrum der Architektur immer der Mensch steht, und dieser ein soziales Wesen ist, sollte diesem Aspekt größere Beachtung geschenkt werden. Das Wohlergehen eines Individuums in einer funktionieren Gemeinschaft lässt sich durch neue Wohnformen wie dem Cluster-Wohnen oder kollektiven Wohnen fördern.

Hauseingang in der Kalkbreite

Unsere Großstädte wachsen stetig, verdichten sich und die Flächenreserven darin schrumpfen. Immer mehr Menschen, ob alt oder jung, wohnen alleine. Auch die soziale Einheit der Familie wird immer kleiner, meist nur noch bestehend aus Eltern und Kind. Generationenübergreifendes Wohnen wie es früher üblich war, ist – zumindest in den westlichen Städten – kaum noch anzutreffen.

Die soziale Folge sind Anonymität und Vereinsamung. Der Mensch ist aber ein soziales Wesen mit dem Bedürfnis einer Familie oder Gemeinschaft anzugehören. Daher liegt die zukünftige Aufgabe der Architektur auch darin, neue Wohnkonzepte zu entwickeln, die diese Grundbedürfnisse erfüllen. Je größer die Städte werden und damit die Distanzen zu Freunden und zu Familienangehörigen, desto wichtiger werden die Nachbarschaftlichen Beziehungen. Und um diese zu fördern und zu stärken, ist das Konzept des Cluster-Wohnens entstanden.

Eine weitere Veränderung im Wohnungssektor besteht darin, dass immer mehr Funktionen ausgelagert werden. Dazu gehören die Betreuung von Alten und Kindern, das Waschen, das Essen, das Putzen und vieles mehr. So ist es eine logische Konsequenz, entsprechend auch die Flächenanforderungen für den Wohnraum anzupassen. Die Funktion der Wohnung reduziert sich mehr und mehr auf einen Rückzugs- und Ruheraum, der Sicherheit und Schutz bieten soll. Alle weiteren Funktionen können im öffentlichen bzw. halböffentlichen Bereich stattfinden.

Die Idee hinter dem Cluster Wohnen ist, eben durch diese Verlagerung von Funktionen in den gemeinschaftlichen, halböffentlichen Bereich, die sozialen Bindungen zu stärken. So kommt zum sozialen Aspekt auch wieder ein wirtschaftlicher Aspekt hinzu. Die private Fläche wird auf ein Minimum reduziert, um mehr Fläche der Gemeinschaft zugänglich zu machen und dadurch eine höhere Ausnutzung zu erzielen. In vielen Lebensbereichen, wie z.B. der Mobilität wurde Alleineigentum bereits abgelöst von Sharing Modellen. Warum also nicht auch im Wohnbereich?

Wozu eine luxuriös ausgestattete Küche, die man nur hin und wieder für Einladungen mit Freunden benötigt, oder eine riesige Dachterrasse, wenn man doch den ganzen Tag im Büro sitzt? Auch eine eigene Waschmaschine, die im Zweifelsfall nur 2 Stunden pro Woche läuft, kostet in der Einzimmerwohnung unnötig Raum.  Was passiert, wenn sich diese Flächen und Geräte im Allgemeineigentum der Hausgemeinschaft befinden? Es profitieren alle. In einem geteilten Waschraum im Keller kann man auch mal 3 Maschinen gleichzeitig laufen lassen. Wohnküche oder Dachterrasse, ggf. sogar mit angeschlossener Sauna, kann sich ein einzelner meistens nicht leisten, in der Gemeinschaft und mit dadurch gesicherter Auslastung dafür schon.

Ein anderer Aspekt des Cluster Wohnens – in Deutschland auch Mehr-Generationen-Wohnen genannt – sind die sozialen Bindungen, die dadurch gefördert werden. Durch die Durchmischung unterschiedlicher Altersgruppen treffen nicht nur Interessenskonflikte aufeinander, es können auch bereichernde Synergien entstehen. Der kinderlose Single oder alleinstehende Rentner freut sich ab und an mal über den Kontakt mit Kindern. Und die jungen Familieneltern können einen Abend ausgehen, und wissen ihr Kind in guten Händen bei den Nachbarn, ohne einen Babysitter bezahlen zu müssen. Im Gegenzug bedeutet es für sie keinen Mehraufwand, beim wöchentlichen Großeinkauf für den nicht mehr so mobilen Nachbarn etwas mitzubringen.

Um solche Wohnformen zu realisieren, sind Architekten und Entwickler gefragt. Bespielhafte Projekte dafür sind die „Kalkbreite“ in Zürich, das „Poolhaus“ in Wien oder die „Siedlung Spreefeld“ in Berlin. Was diese Projekte gemeinsam haben ist, dass aus sonst verschenkten Verkehrszonen wie Fluren und Hauseingängen qualitative Aufenthaltsflächen erschaffen wurden. Wenn die Übergänge vom öffentlichen in den privaten Bereich gut gestaltet werden, kreieren sie Begegnungszonen und fördern dadurch den Austausch und das Miteinander der Bewohner.

Hochwertige Flächen wie die die riesige Dachterrasse in der Kalkbreite oder dem Poolhaus stehen allen zur Verfügung. Die einzelnen Wohn-Cluster sind klein gehalten, dafür können Sie bei Bedarf erweitert werden, z.B. durch das temporäre Anmieten eines Einzelzimmers für Gäste oder das Buchen eines Gemeinschaftsraums für Yoga-Kurse oder Workshops. Co-Working ist seit mehreren Jahren in aller Munde, warum nicht also auch Co-Living?

Bilder:
Kalkbreite: Genossenschaft Kalkbreite, Volker Schopp / Poolhaus: poolarchitekten, Herta Hurnaus / Spreefeld: carpaneto.schöningh architekten, BAR Architekten, FAT KOEHL Architekten, Andrea Kroth

Antivilla bei Potsdam

Wie eine radikale Sanierung neue Perspektiven erschafft

Dass diese Villa in Krampnitz bei Potsdam keine herkömmliche Villa ist, lässt schon ihr Name vermuten. Und der erste Blick darauf bestätigt dies. Der Architekt Arno Brandlhuber hat dieses ehemals als Textil-Lager genutzte Gebäude gekauft und es auf unkonventionelle Art und Weise saniert. Sowohl Architektur als auch Gebäudetechnik wurden auf ein Minimum reduziert und stellen damit so einige Richtlinien in Frage. So ist ein einzigartiges Ateliergebäude entstanden, das mit wenig auskommt, und dafür viel zu bieten hat.

Schon in der Grundsatzentscheidung, ob Abriss und Neubau oder eine Sanierung auf diesem Grundstück sinnvoll seien, wurde der Fokus auf maximale Effizienz gelegt. In diesem Fall bedeutete es, Flächeneffizienz. Denn bei einem Neubau wäre bauordnungsrechtlich nur ein Bruchteil der bestehenden Fläche genehmigungsfähig gewesen. So wurde das Gebäude erhalten, was sowohl aus ökologischer Sicht als auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll war.

Auch das Innere blieb weitestgehend unberührt, nur die Wände im Obergeschoss und das Dach wurden entfernt und durch neue tragende Bauteile ersetzt. Wo sich attraktive Ausblicke auf den See und die Umgebung ergaben, wurde die Fassade mit Vorschlaghammern bearbeitet. Diese Arbeitsweise ist den neu entstanden Öffnungen anzusehen und wurde bewusst als Gestaltungsmerkmal eingesetzt.

Die Grundidee des Entwurfs bestand darin, gänzlich auf eine Wärmedämmung zu verzichten und stattdessen das Gebäude in verschiedene Klimazonen einzuteilen. Die massive Bauweise bietet genug Speichervolumen, um bei warmen Temperaturen ein angenehmes Klima im Inneren zu bewahren. Im Sommer lässt sich so die gesamte Fläche als Wohnraum und Atelier nutzen. Im Winter sollte nur der Kern des Gebäudes durch eine Sauna und einen Kamin beheizt werden. Ein den Kern umgebender Vorhang definiert eine Zwischenzone, die vom Inneren gewärmt auch im Winter als Rückzugsort nutzbar sein sollte.

Leider haben die deutschen Vorschriften der smarten Idee einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die bei größeren Sanierungen und Neubauten stets einzuhaltende EnEV sieht einen Vorhang als dämmendes Bauteil nicht vor, so dass letztendlich doch eine Fußbodenheizung eingebaut werden musste.  Diese wird mit Geothermie betrieben und bildet in ihren Heizkreisen die vorgesehenen Klimazonen ab.

Die Architekten Brandlhuber + Emde, Burlon haben das minimalistische Konzept bei diesem Gebäude bis ins letzte Detail verfolgt. Die einzige augenscheinliche Ergänzung, die dem Bestandsgebäude hinzugefügt wurde, ist das Dach. Und auch hier wurden auf jegliche überflüssige Technik und Details verzichtet.  Das Dach besteht aus einer massiven Platte aus wasserundurchlässigem Beton. Zusätzliche Lagen aus Abdichtungsfolien, Verblechungen etc. konnten dadurch vermieden werden. Nur der Regenablauf wird als übergroßes auskragendes Element gekonnt in Szene gesetzt.

Wie der Name so zwiespältig war und ist die Reaktion des Publikums auf die Transformation des Gebäudes – Anti. Doch neue Ideen brauchen Mut und neue Räume. So erscheint die äußere Gestalt dem ein oder anderen Passanten vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Doch spätestens beim Betreten des Inneren werden die räumlichen Qualitäten erlebbar, so dass hoffentlich noch viele weitere kreative Ideen und Projekte in diesem Atelier entstehen werden.

Bilder: Titel: Katrin Schwarz / Innen: ©Erica Overmeer / Bestand: Brandlhuber + Emde, Burlon

Bosco Verticale

Wie ein vertikaler Wald Mailand bessere Luft verschafft

Wenn die Grünflächen in der Stadt aufgrund von Verschattung und Versiegelung zunehmend schrumpfen, sind vertikale Begrünungen und Dachgärten eine ideale Lösung, um wenigstens etwas zur Verbesserung des Stadtklimas beizutragen. So hat der Architekt Stefano Boeri in Mailand zwei Hochhäuser entwickelt, deren Fassaden fast vollständig begrünt sind.

Für die Geschosse auf unterschiedlichen Höhen wurden verschiedene Baumarten ausgesucht. Die Bäume mussten sogar einem Windkanal-Test standhalten, da die beiden Hochhaustürme immerhin 76 und 110 m hoch sind. Nebenbei hat die Wahl der Pflanzen den schönen Effekt, dass die Laubbäume – und damit die Gesamterscheinung der beiden Türme – mit jeder Jahreszeit ihre Farbe ändern.

Rund 800 Bäume und zahlreiche Sträucher spenden den dahinter liegenden Wohnungen und Terrassen Schatten. Durch die Verdunstung kühlen sie das Mikroklima, parallel wird durch die Photosynthese CO2 in Sauerstoff umgewandelt. Beides sind ganz natürliche Effekte, die ohne weiteres Zutun zur Verbesserung des Klimas beitragen.

Kosten und Aufwand für Bewässerung und Gartenpflege sind bei diesem Projekt sicher nicht ganz unerheblich, aber schließlich benötigt auch ein außenliegender Sonnenschutz eine regelmäßige Wartung und Reinigung. Für die Gartenpflege ist allerdings Schwindelfreiheit gefragt. Die Bepflanzung lässt sich nicht aus den Wohnungen heraus pflegen, sondern nur von Fassadenkletterern, die sich dafür an Seilen an den Fassaden herunterlassen.

Erste Nachahmer dieser Projektidee finden sich schon in China. Und wie man das von China erwartet, werden die Ideen dort gleich mehrfach skaliert. So sollen in verschiedenen Metropolen des Landes nicht einzelne begrünte Hochhäuser entstehen, sondern gleich ein ganzer Wald an Gebäuden. 100 bis 200 Gebäuden sind allein in Luizhui geplant. Hoffentlich gedeihen die Bäume in den chinesischen Metropolen ebenso gut wie in Mailand und tragen zur Luftverbesserung bei.

Bilder: Stefano Boeri Architetti